Das feige Attentat auf Charlie Kirk hat die USA erschüttert. Selbst Demokraten ehren den ermordeten Trump-Aktivisten. Doch um Meinungsfreiheit ging es ihm nur bedingt. Der furchtbare Tod des rechten Polit-Aktivisten Charlie Kirk hat die USA unter Schock gesetzt. Einer der ersten, die auf die Nachricht vom feigen Attentat auf Kirk reagierten, war der Demokrat Gavin Newsom. Kaliforniens Gouverneur zeigte sich bestürzt und forderte dazu auf, Kirks Andenken zu bewahren, indem man seine Arbeit fortsetze und "miteinander in Kontakt tritt, über ideologische Grenzen hinweg, durch lebhafte Diskussionen". Auch Ezra Klein, renommierter Autor der "New York Times", kam in seinem Nachruf zu dem Schluss, Kirk habe es mit seinen provokativen Auftritten verstanden, einer gelähmten, sich selbst zensierenden Debattenkultur wieder neues Leben einzuhauchen. Der Liberalismus könne sich von Kirks Furchtlosigkeit und seiner Liebe zur Meinungsfreiheit eine Scheibe abschneiden, so Klein. Diese Reaktionen muten bizarr an. Sie zeigen, wie weit sich der Diskurs in den USA bereits nach rechts verschoben hat. Selbst in linksliberalen Kreisen scheint die Hoffnung darauf, konstruktiv miteinander ins Gespräch zu kommen, so gering, dass selbst gewiefte Demagogen wie Kirk als Retter der Debattenkultur gefeiert werden. Dabei wird übersehen, dass es dem MAGA-Missionar vor allem darum ging, Recht zu behalten. Er hat diskutiert, um andere bloßzustellen, um Linke, Liberale und LGBTQ+-Aktivisten mit seinen christlich-fundamentalistischen bis rassistisch-nationalistischen Parolen zu überrollen. Er hat Debatte nur simuliert. Kirks christlich-fundamentalistisches Weltbild "Prove me wrong" hieß eines seiner erfolgreichsten Formate. "Versuch doch, mir das Gegenteil zu beweisen". Schon der Titel zeigt, dass hier einer zur Diskussion antrat, dem es nicht darum ging, Positionen auszutauschen oder den Diskurs voranzubringen. Kirk war ein Radikaler, er trat dabei aber nahbar und charmant auf. Er war der Posterboy der extremen Rechten in den USA. Als evangelikaler Christ, der eine rigorose, alttestamentarische Auslegung der Bibel predigte, wünschte er sich eine Gesellschaft, die wieder den Geist der Fünfzigerjahre atmen sollte. Als Frauen hinter dem Herd standen, Männer ihre Probleme mit Gewalt lösten und Homosexualität als eine Krankheit galt und strafbar war. Er brüstete sich damit, die Kapitolstürmer des 6. Januars aufgestachelt zu haben, er forderte, Exekutionen im Fernsehen zu übertragen, und er bediente sich niederträchtigster Sprache. Gerade die LGBTQ+-Gemeinschaft attackierte er hart. Afroamerikanern beschied er, während der Sklaverei besser dran gewesen zu sein. Zwar behauptete er einmal, jeder solle "seinen Lifestyle leben", wie er möchte. Auf den Podien, die er besuchte, wetterte er aber ausführlich gegen jene, die nicht das traditionelle Modell der Mann-Frau-Ehe praktizierten. "Diese Leute sind krank", sagte er einmal in seiner TV-Sendung "The Charlie Kirk Show" – und meinte damit die LGBTQ-Gemeinschaft. Minderheitenrechte, etwa für trans Personen, nannte er "verstörend". Die Ursache dafür sah er nicht etwa in einer Entwicklung hin zu allgemeiner Gleichberechtigung, sondern im "Niedergang des amerikanischen Mannes". Lösungen hatte er auch parat: "Jemand hätte sich darum kümmern sollen, wie wir es in den 1950er- und 1960er-Jahren getan haben", sagte er. "Es gibt da draußen eine ganze Menge kranker Menschen – wenn wir dem nicht mit Stärke begegnen, geht das ganze Land den Bach runter." Von solchen Positionen ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu den Herrenmenschenfantasien weißer Suprematisten. Lesen Sie hier mehr über das rhetorische Dauerfeuer in Trumps Amerika Bei ihm wirkte das Autoritäre irgendwie hip Kirk setzte auf das Recht des Stärkeren. Mit jakobinischem Eifer stürzte er sich in Debatten, und er genoss es, wenn den anderen die Argumente ausgingen – was auf den studentischen Campussen, die er mit Vorliebe frequentierte, nicht selten war. Dort diskutierte er meistens mit jungen, aufgebrachten Studenten. Sein Publikum war für ihn leichte Beute. Mit Professoren legte er sich dagegen nicht so gerne an. Gerade an den US-Universitäten, wo viele sich nicht mehr mit der sich ständig ändernden progressiven Agenda identifizieren können und die Abneigung gegenüber einer sogenannten 'cancel culture' stetig wächst, rekrutierte Kirk seine Anhängerschaft. In den sozialen Medien zementierte er mit schier endlosen Contentschleifen sein Image als erfolgreicher Influencer. Der 31-Jährige war ein Produkt des amerikanischen Zeitgeistes, der immer stärker vom trumpschen Führerkult durchdrungen ist. Bei Kirk wirkte das Autoritäre aber weniger bedrohlich – irgendwie hip und Gen-Z-tauglich. Lesen Sie hier die Analyse unseres US-Korrespondenten zum Attentat Es stimmt, Kirk diskutierte leidenschaftlich. Aber er vertiefte mit seinen Auftritten und der enormen Reichweite seiner Organisation "Turning Point USA" (TPUSA) eben auch ganz bewusst die gesellschaftliche Spaltung. Ehemalige Mitarbeiter von TPUSA berichten davon, dass sie endlosen Content produzieren mussten, der vor allem ein Ziel hatte: dem Publikum Angst vor einer liberalen Elite zu machen und die politischen Spannungen im Land zu verschärfen. Das hat wenig mit einer konstruktiven Debatte zu tun, aber viel mit rechtsextremer Propaganda. Letzter Warnruf für Amerikas Demokraten Amerika ist in Aufruhr. Es benötigt die Debatte – dringender denn je. Aber eine, die den politischen Gegner ernst nimmt und ihn nicht vernichten will. Dass Kirk zum millionenschweren Darling der amerikanischen Rechten werden konnte, ist hauptsächlich ein Beweis dafür, wie stark die Konservativen in den USA sich unter den Trumpisten von ihren Wurzeln entfernt haben. Sie ziehen ihre Legitimation inzwischen aus der Verachtung und Dämonisierung Andersdenkender. Nicht umsonst rufen viele MAGA-Anhänger nun zum Bürgerkrieg und zur Vernichtung der Linken auf. Als Rache für den vermeintlichen Freiheitskämpfer Kirk. Mit Konservativismus hat das nichts zu tun. Sondern mit politischer Radikalität, die es nicht mehr nur bei Worten belässt. Kirks Tod sollte daher für alle Demokraten – Linke wie Konservative – ein letzter, schriller Weckruf sein.