Zum Jahresauftakt ermittelt das Dresdner Team in einem düsteren "Tatort" voller Widersprüche und psychologischer Abgründe. Wer klassische Krimis liebt, wird hier gefordert. Eine "Tatort"-Kritik von Maria Bode. Der "Tatort: Nachtschatten" (1. Januar 2026, 20.15 Uhr, ARD) beginnt mit einem Bild, das sich einbrennt: Ein blutverschmiertes Mädchen läuft mit einem Skalpell in der Hand durch die Nacht. Auf dem Gleis eines Bahnhofs steht sie plötzlich inmitten einer Menschenmenge, wirkt überfordert und greift Passagiere und Passagierinnen um sie herum an. Schließlich wird sie auf die Polizeiwache gebracht. Was Amanda (Emilie Neumeister) dort erzählt, klingt wie ein Albtraum. Ihr Vater lasse sie und ihre Schwester Jana hungern, habe sie im Keller eingesperrt – wo genau dieser ist, kann Amanda jedoch nicht sagen. Oberkommissarin Leonie Winkler nimmt das Mädchen, das nicht einmal seinen Nachnamen kennt, ernst. Die Ermittlerin will die verschwundene Schwester schnellstmöglich finden. Quotenabsturz: Letzter "Tatort" 2025 scheitert krachend Lesermeinungen zu Murot-"Tatort": "Eine einzige Zumutung" Zweifel kommen hingegen zunächst bei Kommissariatsleiter Peter Schnabel (Martin Brambach) auf. Die stark traumatisierte Amanda scheint nicht nur Opfer zu sein, sie steht auch unter Mordverdacht. Denn das Blut auf ihrer Kleidung ist nicht ihr eigenes. Starke Darbietung lässt vorhersehbare Momente vergessen Der "Tatort: Nachtschatten" entführt die Zuschauerinnen und Zuschauer in eine beklemmende Welt, fernab von klassischen Krimistoffen. Er spielt sehr gelungen mit verschiedenen Erzählsträngen. Doch der Film hat auch Längen und wirkt teils stark konstruiert. Etwa wenn ein Handy in exakt jenem Moment klingelt, in dem die Zusehende es auf dem Sofa sitzend vermutet – und die Angerufene natürlich nicht rangeht und sich stattdessen in eine große Gefahr begibt. Oder wenn ein Schlag auf den Hinterkopf genau dann kommt, wenn das Publikum damit rechnet – das ist stellenweise doch recht vorhersehbar. Aufgefangen werden die Schwachpunkte durch starke Schauspielerinnen. Emilie Neumeister überzeugt als Amanda. Die Hauptfigur der Episode changiert zwischen Verletzlichkeit und Bedrohlichkeit, zwischen Liebe und Hass. Sie trägt den Film. Auch Nina Kunzendorf, deren Rolle aus Spoiler-Gründen nicht näher beschrieben werden soll, bringt eine dichte, glaubhafte Energie mit. Das Ermittlerteam hingegen wirkt noch nicht gefestigt. Es ist deutlich spürbar, dass Ermittlerin Gorniak (Karen Hanczewski, Ausstieg 2025) fehlt. Winkler wirkt in ihrer Einsamkeit fast verloren, was zwar zur Geschichte passt, aber kaum Raum für Teamdynamik lässt. Kriminalhauptkommissar Schnabel (Martin Brambach) sorgt für die wenigen Momente von Leichtigkeit, ohne den Ton zu brechen. "Tatort: Nachtschatten" ist kein klassischer Krimi. Der Mordfall tritt in den Hintergrund, vielmehr geht es zunächst um die Suche nach Amandas Schwester Jana. Wer zum Auftakt in ein neues Krimijahr leichte Kost erwartet, ist hier falsch. Im Zentrum stehen psychologische Machtspiele, verdrängte Erinnerungen und Schuldfragen. Erinnerung an reale Fälle Der "Tatort" erinnert über eine lange Zeit stark an reale Fälle. Etwa an den der Österreicherin Natascha Kampusch, die im Alter von zehn Jahren von Wolfgang Přiklopil entführt und acht Jahre lang bis zu ihrer Flucht in dessen Keller gefangen gehalten worden war. Oder auch an Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang eingesperrt und tausendfach vergewaltigt hatte. Regisseurin Saralisa Volm sagte über die Thematik für ihr "Tatort"-Debüt: "Prinzipiell interessieren mich menschliche Abgründe und unsere Motivationen. Was bringt uns dazu, böse zu sein, wütend zu sein, Freiheit zu rauben? Die meisten von uns handeln aus guter Absicht, wollen das Richtige tun, folgen einem inneren Kompass. Wenn dieser fehlgeleitet ist, landen wir schnell in der Katastrophe. Und welches Gefühl kann uns besser fehlleiten als die Liebe?" Mit "Nachtschatten" ist Saralisa Volm ein düsterer, ambitionierter Film gelungen, der trotz einiger Schwächen überzeugt. Fans psychologisch vielschichtiger Stoffe kommen auf ihre Kosten. Allen anderen soll ebenfalls empfohlen sein, einzuschalten. Der recht zeitlose "Tatort" bleibt spannend bis zum Schluss und auch darüber hinaus hängen. Teilen Sie Ihre Meinung mit Wie gefiel Ihnen dieser "Tatort"? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de . Bitte nutzen Sie den Betreff "Tatort" und begründen Sie.