Werteunion: Der nächste Comeback-Versuch des Hans-Georg Maaßen: Diesmal will er Ministerpräsident werden

Er war Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dann Paria der CDU. Jetzt ist Hans-Georg Maaßen Parteigründer der Werteunion – und möchte demnächst eine Regierung bilden. In Thüringen, wo sonst.

Da steht er also in seiner bekannten Montur – dunkler Dreireiher, vergoldete Nickelbrille – vor den Kameras und doziert mit bekannt monotoner Stimme seine bekannten Sätze. "Thüringen braucht die Politikwende", sagt Hans-Georg Maaßen. "Es gibt einen großen Bedarf bei den Wählern, eine Partei zu wählen, die nicht radikal ist, die nicht extrem ist."

Hinter ihm sind ein paar Aufsteller mit der Aufschrift "Werteunion" zu sehen, dahinter hübsch restauriertes Fachwerk. Die Partei, die erst seit ein paar Wochen existiert und als deren Bundesvorsitzender Maaßen amtiert, tagt auf einem vormaligen Rittergut in München – wobei es sich dabei nicht um die bayerische Landeshauptstadt handelt, sondern um ein Dörfchen nahe Weimar.

STERN PAID Person der Woche Hans-Georg Maaßen 08.16Aber irgendwie passt diese Örtlichkeit, die kognitive Dissonanzen auslöst, zu dem, was dort an diesem sonnigen Sonntagmittag auf einer improvisierten Pressekonferenz verkündet wird: Maaßen hat tatsächlich vor, Ministerpräsident von Thüringen zu werden. "Ich will den Menschen zeigen: Es gibt eine Alternative zu Bodo Ramelow", sagt er.

Ramelow ist der seit fast zehn Jahren regierende linke Ministerpräsident, den Maaßen nach der Landtagswahl am 1. September ersetzen möchte. Deshalb hat seine Werteunion an diesem Sonntag mit etwa 50 Mitgliedern einen Landesverband gegründet und wählt eine Landesliste. An ihrer Spitze muss, natürlich, Maaßen stehen.

Oder genauer gesagt: Er müsste dort stehen. Denn Maaßen hat verzichtet. "Wir werden im Doppelpack antreten", sagt er und blickt zu dem Mann, der neben ihm im grauen Nadelstreifen-Anzug steht. "Albert Weiler ist der Spitzenkandidat und wird die Fraktion im Landtag anführen. Ich bin dann der Ministerpräsidentenkandidat." 

Der Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete gibt den Spitzenkandidaten

Weiler nickt eifrig. Der frühere Lokführer und spätere Verwaltungsfachwirt war als Sozialdemokrat aus dem Westen nach Thüringen gekommen, um dort zur CDU zu wechseln und für acht Jahre im Bundestag zu sitzen, bis er 2021 seinen Wahlkreis an die AfD verlor. Kurz nachdem er im Februar seinen Eintritt in die Werteunion erklärte, wurde er zu einem der drei Vize-Vorsitzenden gewählt. 

Jetzt also ist Weiler mit seinem Bundeschef Maaßen Teil eines sogenannten Thüringer Doppelpacks – womit das politisch arg geplagten Freistaat mal wieder eine sehr besondere Premiere vorweisen kann: Eine Landespartei, die um die 50 Mitglieder hat und in Umfragen bei 1 Prozent gemessen wird, kürt einen Ministerpräsidentenkandidaten, der nicht ihr Spitzenkandidat ist.Hans-Georg Maaßen Karriere 06.43

Dabei hatte doch Maaßen extra, wie er während der Pressekonferenz auf Nachfrage des stern erstmals öffentlich bestätigt, im vergangenen Sommer seinen Hauptwohnsitz nach Thüringen verlegt. Der Grund dafür, so wurde über Monate aus der Werteunion versichert, war die angeblich fest geplante Kandidatur für das Landesparlament.

Warum aber kneift Maaßen? Aus der Partei heißt es dazu übereinstimmend, dass er eine rechtliche Anfechtung einer möglichen Bewerbung fürchte. Denn um für den Landtag zu kandidieren, hat Maaßen nicht nur nachzuweisen, dass er mindestens ein Jahr vor der Wahl seinen Hauptwohnsitz in Thüringen besaß. Laut Meldegesetz muss er diese Wohnung auch "vorwiegend benutzt" haben – was der Wahlberliner aus Mönchengladbach wohl schwerlich nachweisen könnte.

Darauf vom stern angesprochen, widerspricht Maaßen. "Nein, das hat keine Rolle gespielt", sagt er. Vielmehr handele sich bei Weiler um "einen Topmann", der das Land und seine Leute noch besser als er kenne. 

Einmal abgesehen davon, wie glaubhaft dieses Dementi sein mag: Maaßens nächster Comeback-Versuch ist gestartet. Doch warum bloß muss es Thüringen sein? Um dies zu nachvollziehen zu können, hilft ein kurzer Blick zurück. 

Nachdem Maaßen 2018 als Verfassungsschutz-Chef geschasst worden war, stieß er zum Verein Werteunion und machte das politisch schon damals extreme Thüringen im beginnenden Landtagswahlkampf zu seinem neuen Revier. Als Ramelow im Herbst 2019 die rot-rot-grüne Mehrheit im Landtag verloren hatte, warb Maaßen offensiv für die Wahl eines CDU-Ministerpräsidenten mithilfe der Fraktion von Björn Höcke – und jubelte öffentlich, als stattdessen der FDP-Politiker Thomas Kemmerich von CDU, AfD und Liberalen zum Regierungschef gemacht wurde.

Werteunion Markus Krall Max Otte Austritt11.17Nach Kemmerichs Rücktritt klagte der Ex-Verfassungsschützer laut über einen "Putsch", bezeichnete Ramelow als "Linksextremisten" und ließ sich von einigen aufmüpfigen CDU-Kreisverbänden in Südthüringen, denen ihr Abgeordneter wegen eine Maskenaffäre abhanden gekommen war, als Bundestagskandidat aufstellen. Er trat in den Landesverband ein, wanderte medienwirksam durch den sterbenden Fichtenwald und aß unzählige Bratwürste.

Doch Maaßen scheiterte deutlich gegen den einheimischen Ex-Olympiasieger Frank Ullrich von der SPD. Danach entwickelte er sich endgültig zum CDU-Renegaten und provozierte die eigene Partei mit immer extremeren Aussagen. Anfang 2023 leitete der Bundesvorstand ein Ausschlussverfahren gegen ihn ein.

Hans-Georg Maaßen: Jetzt gehe es "Schlag auf Schlag"

Parallel dazu kokettierte Maaßen in Interviews und Gesprächen mit der Gründung einer eigenen Partei und nahm insgeheim seinen Hauptwohnsitz in Südthüringen. Doch den finalen Bruch zögerte er hinaus. Erst als sich das Bündnis von Sahra Wagenknecht konstituiert hatte, trat er aus der CDU aus und ließ Mitte Januar in Erfurt den Werteunion-Verein die Parteigründung beschließen, die im Februar auf einem Ausflugsdampfer bei Bonn vollzogen wurde.

Nun also, an diesem sommerlich warmen Sonntag, ist der Thüringer Landesverband konstituiert, parallel zum Verband in Schleswig-Holstein. Natürlich, sagt Maaßen, liege der Fokus auf den Landtagswahlen in Ostdeutschland. In einer Woche sei Sachsen dran, Brandenburg solle bald folgen. Es gehe jetzt "Schlag auf Schlag".

Das Ziel der Operation: "Wir wollen nicht kandidieren, um Opposition zu sein", sagt Maaßen. "Wir wollen koalieren, um eine Machtoption zu haben." Und, um dies zu erreichen, sei jede andere Partei recht, einschließlich der AfD und ihres Landeschef Björn Höcke. "Wir wollen mit denen zusammenarbeiten, die unsere Positionen teilen", sagt er. "Da ist es mir völlig egal, wer das letztendlich ist."

Auch Höcke könnte von Werteunion-Abgeordneten gewählt werden

Ähnlich formuliert es Weiler. Von der Werteunion werde nichts "brandmauermäßig abgeblockt", sagt er. Und wenn ein künftiger Landtagsabgeordneter Höcke zum Ministerpräsidenten wählen wolle, dann sei dies eben so: "Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wir haben da keinen Fraktionszwang vorgesehen." Aber klar, natürlich sei Maaßen die bessere "Alternative zur Alternative", fügt er schnell an.

Nach der Pressekonferenz wählen die etwa 30 anwesenden Mitglieder die Landesliste. Weiler, der auch als Landeschef bestimmt ist, wird nahezu einstimmig auf Platz 1 gewählt. Zu den Bewerbern hinter ihm gehört der Unternehmer Peter Schmidt aus Gera, der gemeinsam mit dem Rechtsextremisten Christian Klar bei Demonstrationen auf der Bühne stand. Seine Heimatstadt habe "Widerstand geleistet", sagt er auf dem Parteitag. "Das macht mich sehr stolz." Nun aber wolle nicht mehr nur "im Kreis laufen", sondern wirklich etwas bewegen.

Maaßen CDU-Ausschluss 17.32Das passt, einerseits, schlecht zu der Aussage Weilers, dass die Werteunion vermeiden wolle, "dass wir radikale Strömungen, sei es von links oder von rechts, in die Partei bekommen". Andererseits ist der Ex-Bundestagsabgeordnete mit Schmidt recht gut bekannt. Am 3. Oktober 2022 etwa, als unter anderem die AfD zur Großdemonstration in Gera aufrief und Höcke eine besonders demagogische Rede hielt, nahmen die beiden gemeinsam daran teil.

Die Frage für die Werteunion wird nun sein, wie stark sie mit ihrem Ministerpräsidentenkandidaten, der kein Spitzenkandidat ist, im Landtagswahlkampf zwischen CDU, AfD und der Wagenknecht-Partei wahrgenommen wird – zumal das rechtskonservative Lager zusätzlich zersplittert. Parallel zur Gründung der Thüringer Werteunion stellte im ostthüringischen Altenburg das "Bündnis Deutschland", mit dem sich Maaßen verstritten hat, eine eigene Liste auf. An die Spitze wurde eine Frau gewählt, die einst als Höckes Stellvertreterin in der Landes-AfD amtierte.

Aber vielleicht ist es für Maaßen, der am frühen Sonntagabend mit 100 Prozent zum Ministerpräsidentenkandidaten bestimmt wird, auch gar nicht so wichtig, wie die Landtagswahl in seinem angeblichen Neuheimatland ausgeht. Er gehört ganz offenkundig zu jenen Männern, die ausreichend fest von ihrer eigenen historischen Bedeutung überzeugt sind. So beantwortet der die Frage, ob er 2025 wieder in Thüringen für die Bundestagswahl kandidiere, unter anderem mit diesen Satz: "Ich sag's mal so, ich glaube ehrlich: Man braucht mich."